Gewerkschaften sollen kooperieren
Beim 22. Hoffest am Roten Rathaus organisierten sich Gruppen zum Protest
Zum 22. Hoffest am Roten Rathaus begrüßte der Regierende Bürgermeister Kai Wegner eine illustre Runde. Unter den etwa 4000 geladenen Gästen waren am Dienstagabend ehemalige Regierende Bürgermeister wie Eberhard Diepgen, Klaus Wowereit und Michael Müller, aber auch amtierende Senator*innen, Schauspielerin Fritzi Haberlandt, Sänger Frank Zander, Rapper Romano oder die Ehrenbürgerin von Berlin Margot Friedländer anwesend.
Auch zahlreiche Vertreter*innen der mittelständischen Wirtschaft waren anwesend, im Gegensatz zu Gewerkschafter*innen und Lohnabhängigen. Dabei blieben soziale Themen nicht ausgespart. Bereits in der Schlange beim Einlass konnten Besucher*innen auf großen Transparenten lesen: »Soziale Arbeit am Limit – Ausbeutung, Sparzwang, Sozialabbau beenden«. Etwa 100 Menschen versammelten sich zur Kundgebung rund um den Neptunbrunnen. Ihre zentrale Parole »Hauptstadtzulage für alle« war auf dem Fest nicht zu überhören.
»Wir sind heute hier, um das einzufordern, was uns zusteht!«, rief der Sozialarbeiter Marc Seilheimer und eröffnete mit diesen Worten die Kundgebung. »Wir sind heute hier, weil wir faire Bezahlung und gleiche Anerkennung wollen für das, was wir jeden Tag leisten, um diese Stadt am Laufen zu halten.«
Seilheimer ist seit Jahren im Solidaritätstreff »Hart am Limit – Soziale Arbeit im Kapitalismus« aktiv, der sich monatlich im Kiezhaus Agnes Reinhold in Wedding trifft. Inzwischen hat sich das Treffen zu einem Forum kritischer Sozialarbeiter*innen entwickelt. Auch in Neukölln gründete sich ein Sozialtreff. Gemeinsam mit der Stadtteilorganisation »Hände weg vom Wedding« organisierten die beiden Initiativen die Protestkundgebung. Gegenüber »nd« betont Seilheimer, dass sie sich versammelt hätten, »um den Senat an sein Versprechen zu erinnern, die Hauptstadtzulage für alle zu zahlen – einschließlich der freien Träger«. Ihre Hauptkritik: Beschäftigte bei freien Trägern erhalten 150 Euro weniger im Monat als jene im öffentlichen Dienst.
Eine Vertreterin des Sozialtreffs Neukölln betonte, dass es für sie nichts zu feiern gebe: »Dieser Party- und Sparsenat, der sein Wort nicht hält und heute hier feiert, hat angekündigt, drei Milliarden Euro zu kürzen. Und zwar im Verkehr, im Schulausbau und im sozialen Bereich.«
Auch Redner*innen der AG Weiße Fahnen, eines übergewerkschaftlichen Zusammenschlusses von Sozialarbeiter*innen der Berliner Jugendämter, äußerten ihre Empörung. Sie warfen dem Senat vor, seit November 2020 bewusst die Ungleichheit zwischen den Beschäftigten zu schüren. Der Senat zahle in seinen eigenen Betrieben, beispielsweise in den Bezirksämtern oder in den landeseigenen Kitas, eine Hauptstadtzulage in Höhe von 150 Euro monatlich. Eine Rednerin mahnte, dass jeder Cent davon gerechtfertigt sei, um hohe Mieten und steigende Lebenshaltungskosten ein wenig abzumildern. »Doch wir Beschäftigte bei freien Trägern erhalten diese Zulage sowie viele weitere Entgeltbestandteile des Tarifvertrags nicht und werden damit als billigere Dienstleister*innen um eine gerechte Entlohnung beraubt.«
Aktivist*innen der Gruppe Betriebskampf appellierten an die Solidarität der Beschäftigten. »Wir verlassen uns nicht auf die Politik, die uns spaltet, sondern organisieren uns betrieblich, gewerkschaftlich und politisch für gute Arbeits- und Lebensbedingungen, für faire Löhne in unseren Betrieben«, sagten sie. Die Gruppe, die in Betrieben Arbeitskämpfe durchführt und diese solidarisch unterstützt, erinnerte auch daran, dass die Forderung nach einer Hauptstadtzulage für alle die Beschäftigten seit Monaten mobilisiere. So stand die Gruppe im März und April gemeinsam mit Mitarbeitenden der Arbeiterwohlfahrt oder des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes vor dem Roten Rathaus sowie dem Berliner Abgeordnetenhaus.
»Der Senat könnte jederzeit die Hauptstadtzulage mit den freien Trägern vereinbaren«, erklärt Damiano Valgolio von der Linken, der eine parlamentarische Anfrage zu dieser Thematik gestellt hatte. Denn Finanzsenator Stefan Evers (CDU) begründete die Unterschiede bei der Hauptstadtzulage damit, dass man erst die Finalisierung des Tarifvertrags für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L) abwarten müsse.
Dabei geht es um die vertragliche Festlegung der Einigung, auf die sich die Gewerkschaften und die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) bereits im Dezember letzten Jahres verständigt haben. Voraussichtlich am 23. September soll zwischen den Gewerkschaften und der TdL der Vertrag zur Hauptstadtzulage endgültig festgelegt werden.
Mit der Kundgebung verdeutlichten die betroffenen Beschäftigten, dass sie das Ende der Ungleichbezahlung verlangen. Vom Berliner Senat meldete sich niemand bei den Protestierenden, obwohl der Regierende Bürgermeister mehrfach aufgefordert wurde zu erklären, wann er das Versprechen einer Hauptstadtzulage für alle umsetzt. Auch eine Anfrage des »nd« an die zuständige Senatsverwaltung für Finanzen blieb bis Redaktionsschluss unbeantwortet.
Das ist für die Protestierenden wenig überraschend. So endete die Kundgebung mit den Aufruf, sich verstärkt in den Gewerkschaften zu organisieren. Der Redner bekräftigte dabei die Notwendigkeit der Kooperation unterschiedlicher Gewerkschaften.
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1185002.berliner-hoffest-gewerkschaften-sollen-kooperieren.html
Peter Nowak
passiert am 04.09.2024